Kühe stehen auf einer Weide
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Biolandwirtschaft: Bald keine Ausnahmen mehr von der Weidepflicht

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EU macht Ernst mit Pflicht zur Weidehaltung für Biobetriebe

Eigentlich steht es seit rund 25 Jahren in den EU-Biorichtlinien geschrieben: Wiederkäuer müssen auf einer Weide grasen dürfen, soweit es Wetter und Boden zulassen – eigentlich. Faktisch praktizieren das bis heute längst nicht alle Bio-Milchbauern.

Über dieses Thema berichtet: Unser Land am .

Lange haben Behörden und Bio-Anbauverbände die Pflicht zur Weidehaltung großzügig ausgelegt. Biobauern konnten mit Ausnahmegenehmigung etwa Milch produzieren, indem sie beispielsweise im Sommer täglich frisches Kleegras in den Stall bringen, statt ihre Rinder hinaus auf eine Weide.

So praktiziert das bis heute auch Familie Knauer im oberbayerischen Taing. Die Familie zählte vor 40 Jahren zu den Bio-Pionieren im Freistaat. Damals gab es noch keine Weidepflicht. In den 1970er-Jahren modernisierten die Knauers ihren Stall zum Wohl ihrer Tiere mit mehr Platz, Licht und Luft als in konventionellen Ställen. Sie bauten sogar einen Kuhbalkon, auf dem ihre 70 Milchkühe Sonne und Wind genießen können, aber eben kein Weidegras.

Ein neuer Stall müsste her, um bei Bio zu bleiben

Wie bei vielen anderen Biobetrieben sind unmittelbar am Hof der Familie Knauer keine Weideflächen zu bekommen. Senior Josef und sein Hofnachfolger haben es versucht, scheiterten aber bislang an den Anrainern. Außerdem müssten ihre Kühe beim Gang zum Melken ständig Straßen überqueren. Kurzum: Genug Eigentumsflächen haben sie knapp einen Kilometer außerhalb des Ortes.

Eine Million Euro – mindestens – müsste die Familie investieren, oder aber im alten Stall weiterhin konventionelle Milch erzeugen, dann wäre also Schluss mit Bio. Vor allem für Seniorlandwirt Josef Knauer undenkbar. Über Jahrzehnte haben sie sich auf fünf Bauernmärkten einen Namen erarbeitet, mit Eiern, Brot, Käse bis hin zu Hanföl. Alles verkaufen sie erfolgreich mit dem Etikett des Bio-Anbauverbandes "Naturland". Das wollen sie jetzt nicht einfach aufgeben. Andererseits, meint Juniorchef Paul Knauer, sei mit konventioneller aktuell ähnlich viel Geld verdient wie mit Biomilch. Die Familie steht am Scheideweg.

Im Video: Kühe auf der Weide: Bei Bio bald Pflicht! Aber wie soll das gehen ohne Fläche? | Unser Land

Nicht alle Biohöfe werden es schaffen

Wenn Deutschland die EU-Biorichtlinie nicht umsetzt, droht ein Vertragsverletzungsverfahren mit Geldstrafe. Die Bio-Anbauverbände haben die Signale erkannt und nehmen seit 2018 keine neuen Betriebe ohne Weidehaltung mehr auf. Und sie drängen ihre Mitglieder zum Handeln, bis spätestens 2029 eine Weidehaltung zu ermöglichen.

Thomas Lang, Vorstand der Landesvereinigung für den ökologischen Landbau in Bayern, LVÖ, schätzt, dass etwa ein Drittel der bayerischen Bio-Milchbauern noch keine Weidehaltung anbiete. Genaue Zahlen habe er nicht. Lang hat keine Angst, dass viele wegen der Weidepflicht auf konventionelle Wirtschaftsweise rückumstellen oder gar ganz aufgeben. Er verweist auf die Erfahrungen in Österreich. Dort habe man die Bio-Weidepflicht bereits umgesetzt und dabei etwa vier Prozent der Biobetriebe verloren. Klar sei aber, so Lang, alle Betriebe werde man bei der Umsetzung der Weidehaltung nicht mitnehmen können.

Regionale Unterschiede bei Weideflächen

Noch hoffen viele betroffene Biobauern vor allem in Nordbayern, dass die Politik Rücksicht nimmt auf regionale Besonderheiten. In Franken etwa haben sie traditionell rings um die Höfe kaum oder keine Eigentumsflächen, die groß genug wären, um die heute üblichen 60, 100 oder noch mehr Kühe ausreichend grasen zu lassen. Auf Rücksicht hofft auch Paul Knauer im Erdinger Land. Weidehaltung gehe halt nicht überall. In Nord- und Ostdeutschland sei das viel einfacher – wegen der gewachsenen Strukturen.

Knauer kann seine Kühe am alten Stall einfach nicht austreiben, hinaus ins frische Grün. Neben diesen betriebsindividuellen Problemen hat Bayern mit seinem hohen Anteil an Bio-Milchproduktion auch ein politisches Problem: Ohnehin hat Bayern seine angepeilten 30 Prozent Bio-Landwirtschaft bislang erst etwa zu gut einem Drittel erreicht. Wenn jetzt wegen der Weidepflicht noch viele Rinderhalter Bio den Rücken kehren, kommt die Ökologisierung der bayerischen Landwirtschaft wohl kräftig ins Stocken. Damit rechnen jedenfalls Branchenkenner. Auch Molkereien und Käsereien treibt die Weidepflicht um, weil sie Bio-Milch-Lieferanten verlieren.

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